Zweiter integraler politischer Salon
Auf Einladung von Elke Fein (IFIS) und Roland Jaritz (ALLE) fand am 22. Juli 2021 der zweite Integrale Politische Salon im virtuellen Raum statt.
Ziel des Salons ist es, ein gemeinsames Verständnis integraler Politik zu arbeiten und die Entwicklung einer integralen (politischen) Kultur zu fördern und einzuüben. Sie soll im Salon selbst als Praxis verinnerlicht werden, um auf dieser Grundlage eine neue, tiefere, integrale Qualität von Politik und des gemeinsamen Gestaltens in die breitere Gesellschaft zu tragen.
Daher gestalten wir den Salon im wesentlichen als Intervisionsraum, in dem konkrete praktische Anliegen, Konflikte und Herausforderungen der Teilnehmenden in diesem Zusammenhang bearbeitet werden können.
So nahm sich auch dieser Salon zunächst etwas Zeit, um die Essenz integraler Politik auf der Basis des zuvor bereits Erarbeiteten (siehe Blog zum ersten Salon) näher zu erforschen und zu beschreiben. Stichworte, die hierzu aus dem Kreis der rund ein Dutzend Teilnehmenden kamen, waren
- Selbstfürsorge
- die Fähigkeit, eine gute Balance von EU-Stress und Distress zu praktizieren,
- Offenheit, sich durch Neues aus verschiedenen Quellen inspirieren zu lassen
- Empathie für Selbst und Gegenüber
- ein kontinuierlicher, achtsamer Blick nach innen, Lauschen auf die eigene Wahrnehmung und Intuition (über sich selbst Bescheid wissen; „das starke, fraglose Tun kommt eher aus einer Orientierung nach innen als nach außen; der Blick hinaus macht einen nicht stark und kräftig im Tun“)
- die Bereitschaft, im Außen klar Position zu beziehen (mit Jean Ziegler: „empört Euch!“).
Mitunter geht es auch darum, diese Pole in einen Ausgleich zu bringen.
Im Intervisionsteil des Abends wurden zwei Themen besprochen, zum einen eine konkrete kommunikative Herausforderung aus einer innovativen Kleinpartei in Österreich. Hierzu sei aus Diskretionsgründen nur das Feedback des Themengebers angeführt, ein Dank für die Atmosphäre der Freundlichkeit im Salon und für die „schöne Leichtigkeit, auch über schwere Themen zu reden“.
Das zweite aus dem Teilnehmerkreis eingebrachte Thema war die Frage, wie ein integraler Umgang mit einer Herausforderung wie dem jüngsten „Jahrhunderthochwasser“ in RLP und NRW aussehen könnte.
Was lässt sich in solch einer Situation grundsätzlich tun? Was hätte besser gemacht werden können? Was würde oder kann „integral“ konkret tun?
Einigkeit bestand zunächst in der einfachsten aller Antworten: helfen! Es steht außer Frage, dass zuallererst unmittelbares Leid der Betroffenen gelindert und die gravierendsten materiellen und infrastrukturellen Schäden behoben werden müssen (man stelle sich vor, über längere Zeit ohne fließendes Wasser, Strom, Internet etc. leben zu sollen…). Alsdann ist auch eine Reflektion über die Frage angebracht, was in Zukunft anders werden soll oder muss, damit Vergleichbares nicht wieder passiert.
Während wir zum Glück sehr viel Hilfsbereitschaft aus allen Richtungen beobachten, hat auch die Debatte über Fehler und Versäumnisse im politischen Mainstream bereits nach wenigen Tagen eingesetzt – wobei allerdings zuweilen die Suche nach Verantwortlichen oder Schuldigen im Vordergrund zu stehen scheint. Ein äußeres Objekt zur Projektion der geballten Wut, Enttäuschung und Ratlosigkeit zu haben erscheint auch angesichts der aktuellen, in diesem Umfang noch kaum erlebten Hochwasserkatastrophe immer noch als das am weitesten verbreitete Reaktionsmuster im politischen und medialen Betrieb.
Eine integrale Politik nimmt demgegenüber einen stärker systemischen Blick ein:
- Wie hängen die Starkregenereignisse und ihre Folgen mit den komplexen ökologischen Veränderungen – und letztlich mit unser aller Lebens-, Konsum-, Verhaltens- und Denkweisen zusammen?
- Wie haben wir alle gemeinsam (ohne es zu wollen) durch unser kollektives Tun und Unterlassen jene Entwicklungen mit forciert?
- In Anerkennung dessen, dass insgesamt (von konkreten Fahrlässigkeiten abgesehen) niemand an den Ereignissen „schuld“ ist, wie können wir jetzt das Beste aus der Situation machen?
Integrale Politik lädt alsdann dazu ein, den Fokus verstärkt nach innen zu richten und sich zu verbinden mit denen, die vieles oder alles verloren haben. Aus der Intelligenz des Herzens stellt sie tiefere Fragen, wie etwa:
„Wie gehe ich mit dem Leid anderer Menschen um?
Wie verbinde ich mich?
Was kann ich für sie tun?“
Aus diesem Raum heraus zeigten sich im Salon etwa folgende mögliche Schritte: Integrale Politik könnte
- im Sinne der Intentionsarbeit Lynn McTaggarts Kraft und Unterstützung schicken
- trotz aller Widrigkeiten Dankbarkeit kultivieren
- für Betroffene, Helfende und Verschonte Räume schaffen, um die eigene Ohnmacht zu spüren und zu reflektieren – und daraus neue, andere Fragen zu stellen
- Dialogräume gestalten für dezentrierte Reflexion über das geschehene ohne Schuldzuweisungen
- Räume für integrale – kollektive – Traumaarbeit schaffen, halten und gestalten
Insbesondere letzteres erschien uns im Salon als vordringlicher, originärer Beitrag eines integral informierten Blicks auf das Geschehene: Wie könnten wir dazu beitragen, es normal zu machen, über individuelle und kollektive Traumata zu sprechen, und zwar in einer konstruktiven, liebevollen und achtsamen Haltung, die die Konfrontation mit dem Schmerz über Erlebtes – und unseren eigenen Anteil an seinem Zustandekommen – in den Dienst von Heilung und Transformation des größeren Ganzen stellt?
Wir freuen uns auf eine Fortsetzung des Gesprächs – und auf konkrete Schritte in die oben beschriebene Richtung.
Freiburg, 26.7.2021
Elke Fein