Vertiefung der Demokratie: Zweiter integraler politischer Dialog in Freiburg

Aktion Brückenschlag

Ende März 2024 fand im Freiburger Haus des Engagements eine Fortsetzung und Vertiefung des integralen politischen Dialogabends vom Dezember statt, den IFIS ab sofort gemeinsam mit der Initiative Aktion Brückenschlag hostet.

Auf allseitigen Wunsch waren dazu die meisten der Teilnehmenden der ersten Dialogrunde im Dezember wieder gekommen, zuzüglich zweier Neueinsteiger/innen. „Es ist langweilig, in der Mehrheit zu sein“, so der Kommentar eines Teilnehmers zu der Beobachtung, dass an diesem Abend die Ungeimpften bzw. Impfskeptiker in der Mehrheit waren. – Dies dürfte einem größeren Gesprächs- und Dialogbedarf in dieser Gruppe bzw. deren Erfahrung geschuldet sein, dass ihre Sichtweisen und Motive gesellschaftlich in den letzten Jahren weit weniger Aufmerksamkeit erhalten haben als die der „offiziellen Corona-Politik“.

Neben Skeptiker/innen und Verteidiger/innen der Corona-Maßnahmen war auch eine dritte Position vertreten, die beiden etwas abgewinnenen konnte, sie aber als einseitig ansah und eine Synthese anstrebte.

Dialog 1

Von der Erfahrung, ausgegrenzt, ausgeschlossen oder „als dumm beschimpft zu werden“, berichteten indes Vertreter/innen beider Gruppen – aus unterschiedlichen Gründen. Einen besonderen Akzent setzte eine seit vier Jahrzehnten in Deutschland lebende Teilnehmerin mit persischen Wurzeln. Sie selbst habe sich unter anderem deswegen impfen lassen, weil sie Angela Merkels Rede zu Beginn der Pandemie überzeugend fand und ihre Regierung als um das Wohl der Bevölkerung bemüht erlebte. Ihr „Vertrauen in den deutschen Staat" begründete sie auch damit, dass "er mich als Flüchtling aufgenommen hat“. Zugleich berichtete sie von ihrer Überraschung und Irritation darüber, in welchem Maße die Menschen in Deutschland ihrer eigenen Regierung mißtrauten. Vor dem Hintergrund dessen, dass in ihrem (ersten) Heimatland friedliche Demonstrationen nicht möglich seien, wisse sie die Meinungsfreiheit in Deutschland sehr zu schätzen.

Die Frage, wie Mißtrauen entsteht bzw. Vertrauen verloren geht, brachte uns alsdann in tiefere Schichten der wahrgenommenen Sprachlosigkeit rund um das Thema Corona(politik). Vertrauen, so ein Teilnehmer, entstehe, wenn jemand versucht, ein differenziertes Bild der Wirklichkeit zu schaffen, sich einen offenen Verstand und ein offenes Herz bewahrt. Mißtrauen hingegen entstehe, wenn jemand übertreibe, allzu emotional (nicht faktenbezogen) auftrete und manche Informationen nicht zur Kenntnis nehme – oder aber wenn Ankündigungen oder politische Zusagen binnen kürzester Zeit wieder mißachtet würden.

So hieß es zu Beginn der Pandemie: Wer behauptet, es werde Lockdowns geben, sei ein Verschwörungstheoretiker. – Wenige Wochen später gab es bekanntlich weitreichende und flächendeckende Lockdowns. Nunmehr wurden jene zu Verschwörungstheoretikern, die darin eine Einschränkung der Demokratie sahen. – Mit anderen Worten: als „Verschwörungstheoretiker“ wurden (gefühlt) jeweils diejenigen diffamiert, die die aktuelle Corona-Politik kritisch sahen. Ebenso nahm der ursprünglich durchaus positiv besetzte Begriff „Querdenken“ nicht nur eine diffamierende Bedeutung an, sondern disqualifizierte die betreffenden Positionen auch von den offiziellen öffentlichen Diskurskanälen.

Umgekehrt kritisierte ein Teilnehmer vor dem Hintergrund seiner familiären Erfahrungen in einer südamerikanischen Diktatur, dass von manchen "Querdenkern" die Meinung geäußert werde, Deutschland sei durch die Corona-Maßnahmen zu einer "Diktatur" geworden. Solche maßlos übertriebenen Positionen seien nicht vertrauenerweckend.

Dialog 2

In drei unterschiedlichen Gesprächskonstellationen, vom Kreisgespräch über intensivere Kleingruppen mit dem Mehr-Demokratie-Ansatz „Sprechen und Zuhören“, bis zum „dynamischen Dialog“ (Deep Democracy) näherten wir uns den tieferen Dimensionen der nach wie vor schwierigen Verständigung über das Thema an. Darunter waren neben einem Blick auf die NS-Vergangenheit und hieraus zu ziehende Lehren für die Demokratie auch ganz konkrete Erfahrungen. Etwa der von einem Teilnehmer geschilderte Eindruck eines weinend durch Berlin streifenden Mannes: Er durfte aufgrund der Quarantäne-Maßnahmen seine schwer kranke Frau im Krankenhaus nicht besuchen. Oder die einst von Klaus von Dohnanyi ausgesprochene Mahnung, wir alle sollten uns unseres „inneren Hitler“ bewusst werden und gemeinsam derartige Schatten ans Licht holen.

Einsichten

„Das Unaussprechliche ansprechen“ zu können, wurde denn auch allenthalben als ein wichtiges Verdienst dieser Dialogrunde empfunden. – Bis hin zum Wunsch eines Teilnehmers, in einer nächsten Runde „gerne noch mehr Streitgespräch“ zuzulassen. Deutlich spürbar war, dass die über mehrere Stunden gewachsene Verbindung zwischen den Teilnehmenden – und das Vertrauen in die haltende Struktur des Formats – offenbar als eine zunehmend belastbare Grundlage erlebt wurde, sich auch schwierigeren Aspekten des Themas immer beherzter zuzuwenden.

„Ich habe mich wohl gefühlt“, so ein Feedback in der Schlussrunde. „Es war methodisch rund, einschließlich der Methodenwechsel, auch wenn sie für mich in der Situation erstmal überraschend waren“, so ein anderes. Und eine dialogerfahrene Teilnehmerin sagte schlicht: „Es tut gut, den Prozess zu erleben. Das ist heilsam. Die Leute können einfach mal zur Ruhe kommen. Ich werde jedoch noch länger brauchen, um das alles zu verdauen!“

Blumenvase

 

Nach dem Ende des (dreieinhalbstündigen) offiziellen Teils blieb ein harter Kern von Teilnehmenden noch weit über eine weitere Stunde im Kreis sitzen und beratschlagte über mögliche Fortsetzungs-, sowie zusätzliche parallele Dialogformate mit anderen Themen und Zielgruppen, beispielsweise zwischen Freiburger/innen mit und ohne Migrationshintergrund. Denn, so die Meinung aller im Raum, von integralen Dialogen kann die Stadt und unsere Gesellschaft insgesamt nur profitieren.

Ein herzlicher Dank gilt Regina Weiser, Delf Krohm, Esther Engelhardt und Franz-Albert Heimer sowie allen Dialogteilnehmer/innen für ihr Engagement. Ich freue mich sehr, diese Prozesse durch das im Kontext von IFIS in den letzten Jahren erarbeitete Methoden- und Erfahrungswissen konzeptionell unterstützen, mitgestalten und moderierend begleiten zu dürfen.