Was haben unsere Werte und die darunter liegenden Bedürfnisse damit zu tun, wie wir uns in Konflikten verhalten – und wie unsere Konflikte überhaupt entstehen? – Alles, so jedenfalls die These von Prof. Clare W. Graves, Urheber der später als Spiral Dynamics bekannt gewordenen Modells der Entwicklung von Wertesystemen im Menschen und Gesellschaften.
Als Teil des Fortbildungsprogramms der Aktion Brückenschlag durfte ich Ende Januar 2025 mit 13 Interessierten aus Freiburg und Umgebung ins Universum der Gravesschen Entwicklungstheorie eintauchen, auf der Suche nach den versteckten Mustern und Dynamiken, die unser Wahrnehmen, Denken und Verhalten bestimmen.
Im Zentrum stand dabei die Frage, wie wir Konflikte besser verstehen – und im Idealfall besser lösen können. Dazu haben wir zunächst unsere eigenen Werte erforscht (siehe Word Cloud oben) und dann die Entstehung und Veränderung verschiedener Wertesysteme nach Graves genauer angeschaut. Mit am Tisch saß immer auch die Frage danach, welche Werte eigentlich in unserer Gesellschaft – und insbesondere in der Politik – wirkmächtig sind. Gerade in letzterer klaffen dabei Worte und tatsächliches Verhalten nicht selten erheblich auseinander.
Als aktuelles Beispiel für die Bedeutung von Graves‘ Theorie sei die Spannung zwischen sogenannt „progressiven“ (grünen und linken) Kräften einerseits und dem Erstarken eher rechter oder „rechtspopulistischer“ Kräfte in vielen westlichen Gesellschaften genannt, nicht zuletzt in Deutschland und den USA.
Hierzu schrieb der integrale Bewusstseinsforscher Ken Wilber bereits 2017, kurz nach dem ersten Amtsantritt von Donald Trump, ein Buch mit dem Titel „Trump and the Post-Truth World“. Seine Kernthese lautet, dass das in den meisten westlichen Ländern federführende GRÜNe Wertesystem selbst erheblich zum Aufstieg der "populistischen" Bewegungen, einschließlich der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten, beigetragen habe. Warum?
Durch sein mangelndes Verständnis der Entwicklung politischer Dynamiken (first tier) habe der links-grüne Mainstream eine starke Arroganz gegenüber traditionellen Werten entwickelt, die sich u.a. in Phänomenen wie der „wokeness“ ausdrücke. Sein Narzissmus (alles Nicht-GRÜNe ist verachtenswert) einerseits und seine Kultur des Nihilismus (Wahrheit ist relativ, post-truth) andererseits führten ferner zu performativen Widersprüchen (alle Werte sind gleich wahr, aber dies ist die Wahrheit).
Im Ergebnis, so Wilber, sei die Wahl Donald Trumps eine Reaktion der konventionellen (ethnozentrischen) Wertesysteme auf die Arroganz des gesellschaftspolitischen und kulturellen Codes der GRÜNen gesellschaftlichen Eliten ihnen gegenüber.
Wie können wir diese Perspektive für die Überwindung gesellschaftlicher Konflikte in Deutschland nutzen? Dies erarbeiteten wir im zweiten Teil des Abends gemeinsam anhand eines Szenarios, bei dem es darum ging, die Bedürfnisse aller von Graves beschriebenen Wertesysteme zu berücksichtigen.
Wenngleich der Abend hierfür gefühlt zu schnell vorbei war, äußerten sich viele Teilnehmende inspiriert und bereichert: „Ein Blumenstrauß voll Inspiration“, so eine Teilnehmerin. „Ich habe mich wohlgefühlt – eine Atmosphäre, wo man alles sagen konnte, das ist nicht selbstverständlich. Faszinierend“. Zwei andere betonten, wie wichtig ihnen die Möglichkeit zum Austausch über diese Themen aus integraler Sicht war. Eine junge Frau, die Spiral Dynamics schon länger kennt, lobte das Angebot als „gut gegen gelbe Einsamkeit“, also das Gefühl, mit integralen Sichtweisen allein zu sein. Es gebe Hoffnung, dass es neben den verbreiteten GRÜNen Abwehrreflexen gegenüber manch anderen politischen Positionen auch integral informierte Ansätze wie den der Aktion Brückenschlag gebe, Polarisierung durch eine Erweiterung unserer inneren und äußeren Wahrnehmung zu überwinden.