
Fotos: Luka Kersting
Wieder einmal durfte ich gemeinsam mit Yasmina Steck einen Dialogabend der Aktion Brückenschlag moderieren, es war der dritte zum Thema Demokratie.
Seit nunmehr einem Jahr hat sich in dem Freiburger Dialogprojekt die Tradition herausgebildet, dass wir jeweils drei Abende zu einem Thema anbieten, um sukzessive tiefer zu gehen und die üblichen Denk- und Gesprächsgewohnheiten besser hinter uns lassen zu können.
Bei den ersten beiden Abenden zum Thema „Demokratie“ hatten wir uns an die Wahrnehmung der Beteiligten herangetastet, in welchem Zustand sich unsere Demokratie befindet (erster Abend) und alsdann die Themen Deep Democracy und Schattenarbeit eingeführt (zweiter Abend).
Auf dieser Grundlage ging es diesmal ans Eingemachte: die AfD als widerständiges Element im demokratischen Diskurs. Wie reagieren wir auf diesen mittlerweile immer stärker werdenden „Störenfried“, den ein Teilnehmer bildlich als blinkende „blaue Warnlampe“ bezeichnete? Versuchen wir, den „Störenfried“ auszugrenzen – oder öffnen wir unseren Geist und unser Herz für die Frage, was uns die Warnlampe Wichtiges zu sagen hat? Auf welche Fehlentwicklungen will sie vielleicht hinweisen?
An diesem Abend war von den 14 Teilnehmenden ein knappes Drittel zum ersten Mal dabei. Das heißt, dass die anderen mit unserem integralen Dialogansatz und einigen unseren Methoden bereits ein Stück weit vertraut waren – jedenfalls vertraut genug um freiwillig tiefer gehen zu wollen 😊.
Eine Aufstellung zu Beginn ergab, dass nur drei Teilnehmende starke oder gemäßigte Sympathien für die AfD hegten (oder dies äußerten). Alles in allem also, so könnte man meinen, eine nicht ganz ausgewogene Mischung. Umso interessanter war die Dynamik, die sich im Laufe des Abends entfaltete.
Mit einer Kombination von drei verschiedenen Methoden begannen wir zunächst bei den Erfahrungen und Empfindungen der einzelnen Teilnehmer/innen mit und über die AfD (Sprechen und Zuhören). Dann sammelten wir in einem dynamischen Dialog Wünsche und Bedürfnisse im Blick auf einen integrativeren und produktiveren Umgang mit Minderheitspositionen und vermeintlich das gute Miteinander „störenden“ Akteuren oder Sichtweisen. Schließlich gingen wir direkt in die Polarität von pro und contra, am Beispiel der Frage, ob die AfD verboten werden sollte oder nicht. Dabei galt es, Argumente für beide Seiten zu sammeln, unabhängig davon, welche Meinung man evtl. selbst zu der Frage hatte.
Einige überraschende Einsichten aus dieser Übung waren:
- dass es „anstrengend“ war, sich mit dieser Frage im Modus einer (argumentativen) Debatte zu beschäftigen;
- dass es so gut wie allen schwerfiel, Argumente – gerade auch für ein AfD-Verbot – zu finden, jenseits angstgetriebener Platitüden;
- dass die der AfD oder ihren Sympathisanten zugeschriebene Neigung zu einfachen Lösungen eine tiefe Sehnsucht auch bei ihren Kritikern oder Gegnerinnen in Resonanz brachte: „die AfD spricht unsere tiefsten Wünsche an“.
Eine dezidiert AfD-kritische Teilnehmerin sagte nach langem Schweigen: „Wir haben ein fettes Problem, und das heißt nicht AfD. Es ist viel größer!“
Ein anderer ergänzte: „Es war eine Entdeckung, was wir alles an der AfD festmachen“ (auf sie projizieren). „Wir sollten das zurückholen!“
Ähnlich klang die Beobachtung einer (ebenfalls AfD-kritischen) Teilnehmerin, dass die Vorstellung, wir würden die AfD verbieten, bei ihr ein Gefühl von Trauer auslöse. „Denn dies würde bedeuten, wir schaffen es nicht anders, auf dialogischem Weg, damit umzugehen – es wäre ein Armutszeugnis!“
Diese und ähnliche Reflexionen zum Prozess lassen erahnen, dass der Dialog bei vielen eine verändernde Wirkung in der Tiefe hatte – mit anderen Worten, er war transformativ.
Eine Teilnehmerin beschrieb ihre Befindlichkeit gegen Ende des Abends mit den Worten: „eine heiße Melange an Gefühlen; ich fühle mich sehr produktiv verunsichert. Daraus kann etwas Neues entstehen“. Hier drei weitere Abschlussreflektionen:
- „Ich habe das Thema immer verdrängt. Ich fühle mich angeregt, einmal anders darüber nachzudenken.“
- „Ich bin noch am Grübeln, Brodeln und Verdauen. Es ist komplexer geworden in mir drin. Ich konnte besser spüren, wo ich sein will. Das war bisher der beste Abend!“
- „Die Arbeit hat Ausgleich geschaffen. Feindbilder sind überall. Der Abend hat eine größere innere Elastizität erzeugt; die innere Abwehr hat sich verwandelt in eine Offenheit ohne Angst. Ich habe mich sehr sicher gefühlt.“
Wenn sich bei den Teilnehmenden, wie es hier sichtbar wird, etwas verändert hat, so ist das sicherlich das größte Kompliment für diese Art von Dialogarbeit. Denn niemand geht aus einem guten Dialog unverändert heraus. 😊
An diesem Abend scheint also eine vergleichsweise kleine Minderheit (siehe oben) als produktive Irritation gewirkt zu haben. Umso dankbarer müssen wir denjenigen sein, die sich mit einer Minderheitsposition gezeigt haben.
Die Begründer von Deep Democracy sprechen von der „Weisheit des NEIN“ als einer essentiellen Ingredienz transformativer Kommunikation. Wenn es uns gelingt, „das NEIN zu verbreitern“, also mehr Raum zu schaffen für widerständige und Minderheitspositionen – und für die Erfahrungen derer, die sie einbringen, dann kann dies die Qualität unseres Miteinanders radikal verändern – und substanziell verbessern.
Sehr herzlich laden wir alle Interessierten ein, Teil dieses Experiments mit einer integralen politischen Kultur zu werden.
Die Aktion Brückenschlag setzt ihre Dialogabende auch im kommenden Quartal fort. Über den thematischen Schwerpunkt wird beim nächsten Quartalstreffen gemeinsam entschieden.
Weitere Informationen und Kontakt: https://aktion-brueckenschlag.de/
Einen herzlichen Dank an Luka Kersting für wertvolle Unterstützung und die Fotos zu diesem Text!